Über Hunger, Krieg und Frieden – Wenn die Kornkammern der Welt nicht mehr liefern.
Was der Krieg Russlands in der Ukraine für das Leben in Ostafrika bedeutet.
Ein Artikel von Anke Pahlenberg
Russland und die Ukraine gelten als die Kornkammern der Welt. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine gibt es nicht nur Engpässe im Handel und dementsprechende Lieferprobleme, sondern infolgedessen auch Preisanstiege. Schon jetzt ist sicher, dass ausfallende Ernten die Konsequenz sein werden. Ob Ackerflächen im Kriegsgebiet oder in Gefahrenzonen liegen, ob das landwirtschaftliche Personal oder die Maschinen fehlen, Gründe für die sich anbahnende Krise gibt es viele.
Fast ein Drittel des global gehandelten Weizens kommt aus der Ukraine und fast zwei Drittel des global gehandelten Sonnenblumenöls stammen aus Russland. Dazu kommen enorme Mengen an weiteren Getreidesorten, Ölsaaten und Düngemitteln. In einer globalisierten Welt treffen plötzliches Fehlen von Lebensmitteln, Lieferengpässe und die abzusehenden kurz- und langfristigen Folgen, wie Preissteigerungen von Lebensmitteln, die von diesen Ländern abhängigen Importstaaten am härtesten. Aufgrund der direkten Abhängigkeitsverhältnisse ist vor allem der globale Süden, insbesondere Afrika und der Nahe Osten, durch den Krieg beeinträchtig. Die gefährlichen Folgen, wie Hungersnöte und hungerbedingte Krisen sowie gesellschaftliche, vielleicht sogar politische Eskalationen sind absehbar. Denn Hunger ist nicht nur die Folge von Krieg, sondern immer auch ein wesentlicher Kriegstreiber.
Viele andere Länder sind darüber hinaus indirekt von den wirtschaftlichen Schwierigkeiten betroffen. Auch in Europa steigen die Lebensmittelpreise. Der Unterschied liegt in der Verhältnismäßigkeit.
Während in Deutschland die Menschen nur circa 12% ihres monatlichen Einkommens für Lebensmittel ausgeben, liegt die Zahl im globalen Süden zwischen 50 und 70%. Je teurer die Lebensmittel werden, desto weniger ist monatlich übrig für Gesundheit, Bildung und Wohnen.
Im Gegensatz zum globalen Süden, kann der globale Westen durch aktives Handeln den Beginn einer größeren Krise beeinflussen, herauszögern und sogar abschwächen. In Deutschland und in Europa werden rund 60% der Getreideimporte in Futtertröge gesteckt, weltweit sind es circa 40%. Ebenso hoch ist der Verwendungszweck für Treibstoff. Während in Deutschland knapp 12% in Biotreibstoff fließen ist es in Amerika das Vielfache. Allein 2021 sind über 35% der Maisernte und über 40% der Sojaernte in die Kraftstoffproduktion geflossen. Weltweit werden jährlich 31 Millionen Tonnen Pflanzenöl in Biokraftstoffe umgewandelt. Das entspricht dem doppelten Volumen des Berliner Wannsees.
Gemeinnützige Entwicklungsorganisationen, die sich für den Erhalt von Lebensgrundlagen und für globale Gerechtigkeit einsetzen, fordern daher die westlichen Regierungen auf, weniger Getreide für Treibstoffproduktion und die Tierfütterung einzusetzen und letztlich die Umverteilung und Umstrukturierung der Landwirtschaft anzustoßen. Die Nahrungsmittel sollen der menschlichen Versorgung zur Verfügung stehen. Ein großer Teil der im globalen Süden fehlenden Lebensmittel könnte mit einer solchen Umverteilung vorerst aufgefangen bzw. kompensiert werden. Das wäre eine direkte Maßnahme, die im Zusammenhang mit Soforthilfen wirksam funktionieren kann. Glücklicherweise haben in der vergangenen Woche die G7-Außen- und Agrarminister*innen diese Themen ins Zentrum ihrer Verhandlungen gerückt. Die dramatische Situation und die Problemlagen werden wahrgenommen und diskutiert. Durch den aktuellen Exportstopp von Weizen seitens der indischen Regierung muss nun umso schneller nach zukunftsfähigen Lösungen gerungen werden. Nicht nur für die aktuellen Probleme, auch für die langfristigen.
Der dramatischen Reduktion der Exporte landwirtschaftlicher Produkte müsste jetzt mit Nothilfen beispielsweise durch das Welternährungsprogramm oder auch mithilfe von vor Ort verankerten Entwicklungs- und Ernährungsorganisationen begegnet werden.
Gleichzeitig muss es gelingen sowohl in Europa, als auch in den entsprechenden Ländern die Unabhängigkeit von Düngemitteln, Pestiziden und anderen Exportgütern voranzubringen und den Umbau der Landwirtschaft anzutreiben. Wenn sowohl das Geld, als auch das Saatgut oder Düngemittel fehlen, dann werden auch die Ernten vor Ort weniger Ertrag bringen und der Bedarf dementsprechend weiter steigen. Der Kreislauf der Importe wird weiter befeuert. Es muss ein wesentlicher Zweck der europäischen Politik und der Entwicklungszusammenarbeit sein, klimaresiliente, regionale, ökologische und biologische Landwirtschaft in den Fokus zu stellen. Intensive und industriell geprägte Landwirtschaft hat in den vergangenen Jahren weltweit schon zu vielen Krisen geführt, die unabhängig vom Kriegsfall aufkamen. In tragfähige und zukunftsorientierte Ernährungssysteme zu investieren wäre genauso sinnvoll, wie in die Forschung und Züchtung widerstandsfähiger, regionaler Sorten und Kulturen sowie in den Ausbau regionaler Märkte und Handelsbeziehungen.
Doch wo eine Krise ist, steckt der Teufel im Detail. Weltweit ist zu beobachten, dass gerade gemeinnützige Organisationen mit dem Arbeitsschwerpunkt außerhalb Europas weniger Spendengelder erhalten, als in den letzten Jahren. Auch das Welternährungsprogramm musste bereits Kürzungen melden sowie Förderungen einstellen, und das ausgerechnet im Jemen, einem Land, das schon seit Jahren vom Krieg gezeichnet ist. Zwei Drittel des Landes leiden unter Hunger, die Gesundheitssituation ist katastrophal, Kinder haben keine Zukunft, die Wirtschaft liegt aufgrund jahrelanger Kriegshandlungen am Boden, die Lebensmittel sind für den Großteil der Bevölkerung unerschwinglich. Im Jemen erleben die Menschen seit Jahren die Folgen von zerstörter Infrastruktur, Krieg, Verlassenheit und Hunger. Es ist kein Ende in Sicht und die Zivilbevölkerung kämpft ums nackte Überleben.
Die Weltgemeinschaft hat durch die Corona-Pandemie ohnehin mit unterbrochenen Lieferketten und weniger Hilfsgeldern zu kämpfen und die Lebensmittelvorräte der Vereinten Nationen sind gefährlich niedrig.
Die Erfahrungen der letzten zweieinhalb Jahre haben ebenfalls gezeigt, dass ein Exportstopp – egal in welchem Bereich – schwerwiegende negative Folgen mit sich bringt. Auf solche kurzfristigen Maßnahmen ist unsere globalisierte Welt nicht ausreichend vorbereitet und die Konsequenzen solcher Entscheidungen sind komplex und vielfältig.
Gerade auf dem Agrarmarkt sind transparente Handelswege von allerhöchster Wichtigkeit. Informationen über Marktschwankungen müssen weltweit transparent vorliegen, damit den Auswirkungen steigender Preise mit angepassten Maßnahmen der humanitären Hilfe entgegengewirkt werden kann. Gemeinsame Kraftanstrengungen sind daher dringend notwendig.
Mit jedem Tag, den der Krieg in der Ukraine noch andauert, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sowohl die Ukrainer*innen aufgrund des Kriegsschauplatzes, als auch die Russ*innen aufgrund der finanziellen Belastung durch Investitionen in Militär und Kriegsmaschinerie sowie der Sanktionen ehemaliger wirtschaftlicher Partnerländer auf ein Hungerproblem zusteuern. Ihnen droht mit großer Wahrscheinlichkeit eine Unterversorgung. In der Ukraine werden täglich Ackerflächen zerstört ebenso wie Straßen und sonstige landwirtschaftliche Infrastruktur. Angriffe auf Häfen, Brücken, Bahnlinien und Flughäfen sind Teil der strategischen Kriegsführung. Abwanderung und Flucht der Bevölkerung und somit auch des landwirtschaftlichen Personals kommen unweigerlich dazu. Die Felder können nicht bestellt, die Ernte nicht eingeholt und die Tiere nicht versorgt werden. Die Preise steigen und der oben beschrieben Kreislauf wird in Gang gesetzt.
Hunger ist immer auch eine Waffe.
Und Hunger bleibt nie allein für sich. Aufgrund unterschiedlicher sozialer Ausgangssituationen, Einkommensklassen und Bildungsschichten führt Hunger schnell zu Armut, Kriminalität und Angst um das eigene Leben und das der Familie. Die Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen ist die Folge. Mentale als auch körperliche Beeinträchtigungen ganzer gesellschaftlicher Gruppen, eine Überlastung des Gesundheitssystems und immer weiter steigende Abhängigkeitsverhältnisse von anderen Ländern und Hilfsorganisationen sind unausweichlich. Hunger führt zu Aggression und Gewalt, zu neuen Konflikten, zu stagnierender Wirtschaftskraft, Rohstoffmangel und zerbrechlichen Strukturen auf staatlicher, wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Ebene, bis hin zur Handlungsunfähigkeit.
Die Probleme sind vielschichtig und Krisen überlappen sich.
Seit Jahren gehen militärische Konflikte einher mit Klimakonflikten. In Ländern wie Kenia, Äthiopien, Sudan, Südsudan, Somalia, Eritrea oder auch der Sahelzone Westafrikas treten zum Beispiel immer wieder aufflammende bewaffnete Konflikte in Kombination mit klimabedingten Katastrophen auf. Seit Jahren dominieren Extremwetterereignisse, aber auch Dürren und Wasserknappheiten das Leben in diesen Ländern. Der Lebensraum vieler Menschen und Tiere wird immer kleiner, die Flexibilität des Lebensmanagements muss immer größer werden. Die Folgen solcher Lebensbedingungen führen immer wieder zu Nahrungsknappheiten und Krankheiten und lassen Konflikte entstehen oder verschärfen sie.
Mehr denn je ist deswegen eine starke Entwicklungspolitik gefragt. Die Strukturen der Humanitären Hilfe müssen gestärkt und finanziell ausgepolstert werden. Entsprechende Maßnahmen zur Umschichtung sollten genauso getroffen werden wie nachhaltige langfristige wirtschaftliche und haushaltspolitische Umsteuerungen.
Der Blick muss für den Zusammenhang unserer Welt und unserer aller Abhängigkeitsverhältnisse geschärft bleiben. Es ist wichtig, Krisen im Keim zu ersticken, aber auch eine größtmögliche Erkenntnis für die Zukunft daraus zu ziehen. Die Kraftanstrengungen müssen maximal dem Ziel des Kriegsendes in der Ukraine gewidmet sein, dürfen dabei aber auch nicht den Rest der Welt aus dem Blick verlieren. Es droht ansonsten eine humanitäre Katastrophe in vielen Teilen der Welt.
Quellen
https://www.welthungerhilfe.de/welternaehrung/rubriken/agrar-ernaehrungspolitik/wie-der-ukrainekrieg-afrikas-brotversorgung-trifft/
https://www.deutschlandfunk.de/ukraine-weizen-getreide-export-blockade-welternaehrung-100.html
https://www.dw.com/de/ernährungskrise-durch-ukraine-krieg/a-61053303
https://www.deutschlandfunkkultur.de/armut-ernaehrungskrise-ukraine-krieg-100.html
https://www.misereor.de/fileadmin/publikationen/positionspapier-ernaehrungskrise-ukraine-krieg.pdf
https://www.brot-fuer-die-welt.de/spenden/wuerde/hungerkrise-ukrainekrieg/
https://ourworldindata.org/grapher/annual-food-expenditure-per-person-vs-gdp-per-capita
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/weizen-preis-afrika-ukraine-krieg-101.html
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