One Health als Lösungsansatz für zukünftige Pandemien?

27.11.2020 Optional

Am 03. November 2020 fand unser interaktiver Workshop zum 5. Internationalen One Health Day statt, der die Ursachen von Pandemien transdisziplinär untersucht und die Auswirkungen von Umweltzerstörung auf die globale Gesundheit aufgezeigt hat. In diesem Jahr haben wir uns den Umständen entsprechend angepasst und den Workshop gemeinsam mit dem WWF Deutschland virtuell veranstaltet.

Das diesjährige Thema „One Health als Lösungsansatz für künftige Pandemien“ war aktueller denn je. Knapp 100 Teilnehmer:innen zeigten Interesse an einer virtuellen Zusammenkunft und Gesprächsrunden verschiedener Expert:innen.

An dieser Stelle möchten wir uns ganz besonders bei dem WWF Deutschland für die gelungene Zusammenarbeit sowie die Unterstützung durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), durch Engagement Global sowie alle Expert:innen des Abends bedanken:

  • DR. WOLFRAM MORGENROTH-KLEIN, Leiter des Referats Pandemieprävention, One Health, Tiergesundheit, Biodiversität, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ)
  • MAIKE VOSS, M.A. Public Health, Stiftung Wissenschaft und Politik
  • DR. KIM GRÜTZMACHER, PhD, One Health Expertin
  • DR. LUZIE VERBEEK, Ärztin, Beauftragte für One Health und Klimawandel, Robert Koch-Institut
  • DR. MAY HOKAN, Tierärztin, Project Manager Eastern & Southern Africa, WWF Deutschland
  • DR. Ilka Herbinger, Biologin, WWF Deutschland
  • ANTONIA BRAUS, Tierärztin, Referentin One Health und Wissenschaftliche Begleitung, Tierärzte ohne Grenzen

Zu Beginn der Veranstaltung wurden die Teilnehmer:innen mit einem Gespräch von Antonia Braus und Dr. May Hokan in die Thematik des One-Health-Ansatzes eingeführt. In diesem Gespräch wurden unterschiedliche Auslegungen und Definitionen von One Health besprochen und diskutiert sowie die Arbeit des WWF Deutschland und Tierärzte ohne Grenzen e.V. beleuchtet. Dabei gaben die beiden Referentinnen konkrete Projektbeispiele und zeigten Schnittstellen in der Arbeit der jeweiligen Organisationen auf.

Um noch weiter in das Themengebiet One Health eintauchen zu können, folgten auf das Gespräch zwei Vorträge. Frau Dr. Kim Grützmacher ging in ihrer Keynote insbesondere auf die Entstehung der Berlin Principals of One Health ein und zeigte auf, welche Kosten-Nutzen präventive One-Health-Maßnahmen auf die Gesundheit der allgemeinen Bevölkerung haben, aber auch die Gesundheit der Umwelt sicherstellen.

Herr Dr. Klein stellte aktuellen Prozesse des BMZ zu One Health dar. Dabei ging er unter anderem auf das neue One Health Research, Education and Outreach Centre for Africa vor, das am International Livestock and Research Institut in Nairobi angesiedelt ist.

Die Vorträge der beiden Expert:innen boten Zuhörern einen spannenden Blick hinter die Kulissen der politischen „Ideenschmiede“. In den anschließenden Breakout-Sessions konnten sich die Teilnehmer:innen aktiv beteiligen und mit den Expert:innen verschiedene Fragestellungen diskutieren.

„Ist Pastoralismus grundsätzlich als eine „pandemiepräventive“ Viehhaltung und Lebensweise zu verstehen?“

In dieser Breakout-Session wurde ausgiebig diskutiert, ob der Pastoralismus als eine pandemiepräventive Viehhaltung und Lebensweise zu verstehen sei. Argumente dafür waren, dass die Tiere sich im Freien aufhalten, mit ihren Hirten nomadisch gehalten werden und außerdem keine intensive Kontaminierung des Bodens vorliegen würde. Außerdem würde die Lage in ruralen, heißen Wüstenregionen eine sesshafte Viehhaltung meist unmöglich machen.  Es handele sich oft um gemischte Herden (Schafe/Ziegen) und extensive Tierhaltung, die durch die lange Nutzungsdauer der Tiere stabilisiert werde. Ein weiterer pandemiepräventiver Aspekt sei die Nutzung der ansonsten brach liegenden ökologischen Nischen für eine pastoralistische Lebensweise. Gegenteilig wurde argumentiert, dass der Zugang zu tiermedizinischen und humanmedizinischen Dienstleistungen für die Pastoralisten besonders schwer zugänglich sei und die Gesundheit der Tiere und Menschen nicht garantiert werden könne. Mit dem Augenmerk auf Lebensmittelhygiene sowie die allgemeine Hygiene, der erschwerten Kommunikation mit marginalisierten und armen Bevölkerungsgruppen und der Tierseuchenkontrolle (z.B. Impfungen) wurde die pastoralistische Viehhaltung und Lebensweise von den Teilnehmer:innen letztlich als weniger pandemiepräventiv eingestuft. Weitere Fragen, die aus der Diskussion heraus entstanden, bezogen sich etwa auf die Entstehung weiterer Pandemien und den Zusammenhang der Haltung von Nutztieren und die Relevanz des Themas für das International Year of Rangelands and Pastoralists 2026.

„Welche Kosten muss die Gesundheitspolitik aufbringen, wenn nicht in präventive Maßnahmen investiert wird?“

In dieser von Maike Voss moderierten Breakout-Session, diskutierte sie gemeinsam mit den Teilnehmer*innen über potentielle Konsequenzen nicht vollzogener präventiver Maßnahmen, etwa im Umweltschutz, gegen den Klimawandel oder der Nutztierhaltung. So kam unter anderem auch die Frage auf, welche eventuellen „Nebenwirkungen“ auch der One-Health-Ansatz“ haben könnte. Es wurde argumentiert, dass der Ansatz beispielsweise kleine Gruppen ausschließen würde und bisher ganz grundsätzlich gut durchdachte Konzepte fehlen. Das Pariser Klimaabkommen hingegen sei ein positives Anwendungsbeispiel des One-Health-Ansatzes. Des Weiteren berichteten die Teilnehmer:innen von ihren Beobachtungen des wachsenden transdisziplinären Austauschs zwischen Veterinärmedizin und Public-Health – so würden die klassischen Silos aufgebrochen und wichtige Zusammenschlüsse geformt. Zwar sind diese Disziplinen im Zusammenschluss eher verschlossen gegenüber Neuem bzw. zeigen Unsicherheiten beim Erschließen neuer Felder, jedoch ist die Relevanz dieser Allianz wichtiger denn je. Besonders hervorgehoben wurde in der Session jedoch der gelungene Austausch zwischen Tierärzte ohne Grenzen und dem WWF Deutschland trotz unterschiedlicher Arbeitsbereiche.

„Welche konkreten inhaltlichen Forderungen sind an den Gesundheitssektor zu One Health und Pandemieprävention zu stellen?“

Der menschengemachte Klimawandel sei das dringlichste Problem in Bezug auf die Umweltzerstörung, so beginnt Luzie Verbeek ihre Diskussionsrunde. Ein erträgliches Klima ist Voraussetzung für die Lebensgemeinschaften, so wie wir sie heute kennen. Erfolgreicher Klimaschutz, das heißt die Begrenzung der Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad der globalen Mitteltemperatur vor der Industrialisierung, hätte viele Vorteile, auch in der Pandemieprävention. Diese Zusammenhänge seien seit Jahrzehnten bekannt. Es werde seit vielen Jahren interdisziplinäres Arbeiten gefordert, um diese komplexen Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen. Die deutliche Tendenz der Trennung der Sektoren trotz der bekannten holistischen Ansätze sei nicht nur in Deutschland, sondern auch international zu beobachten.

In dieser Session gaben die Teilnehmer:innen selbst konkrete inhaltliche Wünsche an den Gesundheitssektor zum Thema One Health und der Pandemieprävention weiter. Im Zentrum des Austauschs standen neben dem Klimawandel auch die bisherigen Barrieren, die eine bessere Zusammenarbeit der verschiedenen Disziplinen verhindern. Mit einem Ausblick auf die Zukunft lasse sich hoffen, dass diese Barrieren nach 2020 erfolgreicher als bisher abgebaut werden können.

„Wirkt die nomadische Lebensweise der Pastoralisten wie eine Prävention auf Pandemien?”

Auch in der Breakout-Session geleitet durch Christian Griebenow stellte man sich die Frage, ob die nomadische Lebensweise der Pastoralisten pandemiepräventive Wirkungen zeigt.

Aufgrund des geringeren Infektionsdrucks, als er in Europa mit Expensive Farming erfolge, gäbe es eine positive Auswirkung durch die Haltung nomadischer Viehherden zu verzeichnen. Auf der anderen Seite entsprechen viele der konsumierten Produkte nicht dem europäischen Lebensmittel-Standard (Lebensmittelhygiene), was zu einem erhöhten Krankheitsaufkommen führe. „Meist“, so sagt Christian Griebenow, „bleiben diese Krankheiten jedoch lokale Epidemien“ und werden nur selten, wie wir es momentan erleben, zur Pandemie. Man war sich einig, dass es ein spannendender Ansatz sei, vor Ort mit den Pastoralisten zu arbeiten, um Krankheitsausbrüche gezielt zu verhindern (z.B.: durch Schulungen der Tiergesundheitshelfer:innen von Tierärzte ohne Grenzen im Bereich der Diagnostik). Die Gruppe kommt dennoch zu dem Fazit, dass es schwierig sei, den Pastoralismus als Tierhaltungsform, pauschal als rein positiven Einfluss auf die Prävention von Pandemien zu bezeichnen.

Die Gruppe schlägt zudem vor, Tierärzte ohne Grenzen e.V. als Vermittler und Initiator eines Netzwerks zu nutzen, um Informationsflüsse zu fördern und gezieltere Forschung in den transdisziplinären Bereichen zu ermöglichen. Denn oftmals würden sich westliche Forschungseinrichtungen fast ausschließlich für Gefahren interessieren, die sie durch die europäisch-westlichen Viehbestände wahrnehmen. Maßnahmen sollten deshalb eine größere und vorausschauendere Rolle spielen.

Letztlich wurde das Fazit gezogen, dass vor allem der vermehrte Kontakt zu Wild- und Nutztieren, mangelnde Tierseuchenkontrollen und die unterdurchschnittliche Lebensmittelhygiene als Faktoren eingeordnet werden können, die weniger pandemiepräventiv, sondern im Gegenteil eher pandemiefördernd wirken können. Dennoch, und dies betont die Diskussionsgruppe deutlich, seien die pastoralistischen Tierhaltungsbedingungen, im Vergleich zur westlichen industrialisierten Tierhaltung, eindeutig pandemie-präventiver. Es sei demnach unklar, ob der Pastoralismus tatsächlich eine Prävention für Pandemien ist oder sein kann.

Gesundheit und Umweltzerstörung – One Health als Pandemieprävention?

Ilka Herbinger ging gemeinsam mit den Teilnehmer:innen ihrer Breakout-Session auf das Kongobecken ein, welches als Biodiversitätshotspot ein perfektes natürliches Labor darstellt, um die Zusammenhänge von Pandemieausbrüchen zu erforschen und Maßnahmen zu entwickeln. Die vom WWF Deutschland durchgeführten Projekte nach dem One-Health-Ansatz seien insbesondere dort zu finden, wo Touristen und Menschenaffen, wie etwa Gorillas oder Bonobos aufeinandertreffen. Die Gesundheit der Menschenaffen, sowie anderer Wildtiere, als auch die der Mitarbeiter:innen und Touristen wird hier beobachtet und ausgewertet. Vor Ort werden verschiedene Nutzungszonen untersucht und einer Gefährdung für das Auftreten von Zoonosen zugeordnet. So hat man bereits beobachten können, dass die Gefährdung für das Auftreten von Zoonosen in Holzkonzessionen und ruralen Zonen besonders hoch ist. Grund hierfür ist der Eingriff in den natürlichen Lebensraum sowie generell die Haltung der Wildtiere und der vermehrte Kontakt zwischen Indigenen, der urbanen Bevölkerung und Nutztieren.

One Health sensibilisiert uns alle

Die Diskussionen der Breakout-Sessions haben gezeigt, dass die Umsetzung und Implementierung des One-Health-Ansatzes integrative Ansätze für ein nachhaltiges globales Gesundheits- und Umweltmanagement mit inter- und transdisziplinärer Zusammenarbeit fordern.

Dies ist besonders für die komplexen Gesundheitsherausforderungen in den Ländern des globalen Südens unerlässlich. Eine Verbesserung der (globalen) Gesundheit kann nur erreicht werden, wenn das Silodenken abgebaut wird, ganzheitliche Konzepte verfolgt und integrierte Programme umgesetzt werden. Denn gerade in Entwicklungsländern ist die Gesundheit noch enger mit sozialen Determinanten, Umwelteinflüssen und Armut verknüpft, als in Industrienationen. Die Auswirkungen des menschlichen Konsumverhaltens und Profitstrebens und die damit verbundene Umweltzerstörung betreffen besonders stark die „untere Milliarde“ der Weltbevölkerung, zusammen mit ihrem Viehbestand und der Umwelt, von der sie direkt abhängen.

One Health sensibilisiert uns für die Aufgaben und Potentiale der verschiedenen Disziplinen in Ländern des globalen Südens und zeigt globale Zusammenhänge auf. Der Workshop förderte das Engagement der Zielgruppe, sich mit ganzheitlichen Lösungsansätzen zu beschäftigen und die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit den Ländern des globalen Südens, um eine umfassendere und gerechtere Gesundheitsversorgung zu ermöglichen.

Trotz erschwerter Bedingungen und der Umstellung auf ein virtuelles Format, war der One Health Day 2020 ein voller Erfolg! Der Workshop vereinte nicht nur fachliche Diversität, sondern trug auch wesentlich zum Abbau fachlicher Barrieren bei. Gerade in Zeiten von Social Distancing ist eine Zusammenkunft wie diese, nicht selbstverständlich und dennoch unverzichtbar.

Der One Health Day 2022 wurde gefördert durch Engagement Global mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Warum ist One Health relevant?

Die Erde ist ein zusammenhängendes Ökosystem in dem alle Lebewesen, ob Mensch, Tier und Pflanze in Wechselwirkung miteinander stehen. Zuletzt zeigten uns die Vogelgrippe, Ebola und die COVID-19-Pandemie, dass Krankheiten aus der Tierwelt die menschliche Existenz gefährden.

Kann uns One Health aus der Krise führen?